Husaren-Sportpark Grimma, Freitagmittag 11.30 Uhr – das Handy klingelt. Routine für Harald Sather, dessen Arbeitgeber – die Stadtverwaltung Grimma – noch ein paar Sachen mit ihm abzustimmen hat. Als Leiter der Sportstätten in der Muldestadt hat er auch in Corona-Zeiten gut zu tun, hinzu kommen seine Verpflichtungen als Präsident des Fußballverbandes Muldental/Leipziger Land sowie als Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses des Sächsischen Fußballverbandes. Weiterhin ist Harald Sather im Gebiet des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) als Schiedsrichter-Beobachter bis zur Regionalliga aktiv. Dieselbe Funktion übt der 60-Jährige auf dem Terrain des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für die 1. und 2. Bundesliga der Frauen sowie für die A- und B-Junioren-Bundesliga aus. Demzufolge ist das Vorstandsmitglied des FC Grimma jederzeit ein gefragter Mann, zumal er als Referee ebenfalls auf eine bemerkenswerte und beeindruckende Karriere zurückblicken kann, die in unserer Region ihresgleichen sucht!
Bereits im Kindesalter begann Harald Sather, welcher in Leipzig geboren wurde, bei der damaligen BSG Motor Grimma dem runden Leder nachzujagen. Er durchlief sämtliche Nachwuchs-Jahrgänge der Muldestädter, ehe ihn im Alter von 14 Jahren eine langwierige Verletzung erst einmal schachmatt setzte. „Laufen konnte ich zwar in dieser Zeit, doch ich konnte nicht schmerzfrei an den Ball treten“, erinnert sich Sather. „Da ich allerdings weiter aktiv am Fußball-Geschehen teilnehmen wollte, entschied ich mich kurzerhand die Schiedsrichter-Prüfung abzulegen.“ Diese bestand er problemlos, so dass Sather später eine Karriere hinlegte, an die er selbst nicht zu glauben vermochte. Nach einigen Einsätzen im Nachwuchsbereich pfiff der spätere FIFA-Linienrichter im Alter von 15 Jahren in Kössern sein erstes Herrenspiel.
In der Folgezeit fuhr Sather zweigleisig. Neben seiner Schiedsrichter-Tätigkeit spielte er über Jahre auch wieder aktiv, nachdem er seine Verletzung auskuriert hatte. Immerhin schaffte er es als Torhüter bis in die Leipziger Bezirksauswahl, welche damals von Frank Engel trainiert wurde. Nachdem seine Nachwuchszeit in Grimma ablief, wurde er in den Herrenbereich Motors integriert, wo er später auch im Team der I. Mannschaft in der Bezirksklasse spielte. Als Schiedsrichter hatte er sich mittlerweile bis in die Bezirksliga (damalige dritthöchste Spielklasse) hochgearbeitet, doch sollte im Herbst 1980 ein enormes Problem auf ihn zukommen. Zu diesem Zeitpunkt musste Sather seinen anderthalbjährigen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in Leipzig absolvieren – doch schnell wurde aus dem vermeintlichen Problem eine weitreichende Chance hinsichtlich seiner Schiedsrichter-Karriere. „Mein Kompaniechef war extrem fußballbegeistert und gewann sogar den damaligen Vorsitzenden des Schiedsrichter-Ausschusses des Bezirksfachausschusses (BFA) Leipzig, Widukind Herrmann, zu einem Vortrag in der Kaserne“, berichtet Sather, als ob es gestern gewesen wäre. „Dieser kannte mich natürlich als in der Bezirksliga eingestufter Schiedsrichter, so dass ich, nach anschließender Absprache zwischen Herrmann und meinem Kommandeur, jeden Tag ab 15.00 Uhr außerhalb der Kaserne mein Trainingspensum absolvieren durfte und während diesen anderthalb Jahren an jedem Wochenende meine angesetzten Spiele weiterhin wahrnehmen konnte.“
Nach seinem NVA-Wehrdienst im Frühjahr 1982 setzte Sather ausschließlich auf der Pferd des Schiedsrichters, zumal seine Leistungen in der Bezirksliga im ganz vorderen Bereich aller lagen. „Ich erinnere mich an ein Spiel in Markranstädt, als Rudi Glöckner anschließend zu mir kam und meine Spielleitung lobte“, berichtet der Grimmaer. Zum einzigen deutschen Schiedsrichter, der jemals ein WM-Finale pfiff (1970 in Mexiko zwischen Brasilien und Italien/4:1), entwickelte sich seit diesem Zeitpunkt eine ganz besondere Beziehung. Glöckner, nach seiner aktiven Referee-Karriere Chef des Schiedsrichter-Ausschusses des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV), wurde zum Förderer Sathers und hatte an der aufstrebenden Karriere des Grimmaers daher entscheidende Bedeutung. Zur Saison 1983/84 hatte Harald Sather dann den Sprung in die DDR-Liga geschafft. Seine erste Begegnung in der zweithöchsten Spielklasse pfiff er bereits am Auftakt-Spieltag, als sich Stahl Thale und Chemie Wolfen vor 2.000 Zuschauern 1:1 unentschieden trennten (21.08.1983). Weiterhin leitete er ab sofort Begegnungen der damaligen Junioren-Oberliga, indem die A-Jugend-Teams immer das Vorspiel vor der jeweiligen DDR-Oberliga-Partie austrugen.
Nachdem sich Sather in der Liga als Schiedsrichter über Jahre fest etablierte, erfolgte 1988 die nächste Berufung. „Im Frühjahr absolvierte ich meine ersten Einsätze als Linienrichter in der DDR-Oberliga“, erinnert sich der heute 60-Jährige. Am 12.03.1988 feierte Sather bei der Begegnung zwischen Stahl Riesa gegen den FC Karl-Marx-Stadt (1:2) unter der Leitung von Thomas Eßbach (Leipzig) seine Premiere an der Linie. Sieben Wochen später assistierte er Günther Habermann (Sömmerda) bei der Begegnung zwischen dem FC Vorwärts Frankfurt gegen Dynamo Dresden (1:0). Sein aufmerksames Amtieren an der Seitenlinie in Frankfurt wurde damals sogar in der FuWo vom 10.05.1988 dokumentiert, als der Schiedsrichter-Beobachter Hans Kulicke zitiert wurde, „dass ihm vor allem die Leistung des jungen Grimmaers erfreue.“
Nach der politischen Wende wurde der gelernte Elektriker und spätere Industriemeister als Linienrichter in der 2. Bundesliga eingestuft, ein Jahr später durfte er im Oberhaus winken. Als Schiedsrichter hatte er die Möglichkeit in der Regionalliga, der damals dritthöchsten Spielklasse, zu pfeifen. Auch beruflich veränderte sich Sather, als „Leiter Sportstätten“ gehörte er fortan der Stadtverwaltung Grimma an. Im Jahr 1995 dann der nächste Meilenstein in der Karriere von Harald Sather. Er bekam das FIFA-Abzeichen und wurde ab sofort bei internationalen Spielen als Linienrichter eingesetzt. Als absolutes Highlight kann Sather sicherlich die Europameisterschaft 1996 in England ansehen. „Im Vorrundenspiel zwischen Portugal und Kroatien assistierte der Stuttgarter Hans Wolf und meine Wenigkeit dem Magdeburger Schiedsrichter Bernd Heynemann“, lässt Sather Revue passieren. „Damals lief jedoch die Vor- und Nachbereitung noch völlig anders ab als bei einem heutigen großen Turnier. Zwei Tage vor der Austragung reisten wir in Nottingham an. Am Abend nach dem Spiel ging es sofort wieder zurück nach Deutschland. Heute ist dies undenkbar.“ Das Unparteiischen-Trio bot damals zwar eine hervorragende Leistung, doch blieb es Sathers einziger Einsatz bei dieser Europameisterschaft. Grund dafür war das Vordringen des DFB-Teams, was später im Turniersieg endete. Andererseits war unter der Leitung des Gelsenkircheners Helmut Krug ein weiteres deutsches Schiedsrichter-Team bei dieser EM im Einsatz.
Auch in den folgenden Jahren blieb Harald Sather unter den Linienrichtern – später als „Schiedsrichter-Assistent“ geführt – ein fester Bestandteil beim DFB und der UEFA. In der Bundesliga war er als Team am meisten mit Referee Jörg Keßler (Jena) und Assistent Stefan Weber (Eisenach) unterwegs, auch wenn er nahezu alle damaligen Bundesliga-Schiedsrichter als Assistent unterstützen durfte. Bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden im Jahr 2008 kam Harald Sather auf 220 Einsätze im DFB-Gebiet – alle Referees konnten sich an der Seitenlinie immer zu einhundert Prozent auf ihn verlassen. „Im Europapokal war ich zunächst fast ausschließlich mit Bernd Heynemann unterwegs, später kamen Herbert Fandel, Lutz Michael Fröhlich und Michael Weiner dazu“, erinnert sich Sather. „Insgesamt war es mit allen jedoch immer ein gutes Amtieren. Die Zusammenarbeit hat gepasst.“ Bis 2006 bestritt Sather auf internationalem Gebiet 103 Einsätze, darunter 27 Begegnungen in der Champions League – dabei hat er alle großen Stadien Europas gesehen!
Nach seinem Abschied als aktiver Schiedsrichter und Assistent im DFB- und NOFV-Gebiet leitete Harald Sather in den Folgejahren noch einige Begegnungen auf Kreisebene. „Ich musste auf jeweils 15 Saisoneinsätze kommen, um als Schiedsrichter für den FC Grimma anerkannt zu werden“, erklärt er. „Damals zählten die Einsätze als Beobachter noch nicht, was später angepasst wurde.“ Nichtsdestotrotz steht die Arbeit als Referee bis zum heutigen Tag ganz hoch in seiner Agenda. Als Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses des Sächsischen Fußballverbandes und als Beobachter im NOFV- und DFB-Terrain ist er nahezu tagtäglich damit konfrontiert. Doch damit nicht genug – ein ganz wichtiger Bestandteil ist sein 34-jähriger Sohn Alexander, der die Familien-Tradition an der Pfeife nahezu lückenlos fortgesetzt hat. Als Referee in der 2. Bundesliga und als Assistent im Oberhaus eingestuft, ist Alexander Sather mittlerweile ein festes Mitglied der Schiedsrichter-Gilde im DFB-Gebiet. Dennoch relativiert er: „In die Fußstapfen meines Vaters kann ich nicht treten. Es sind riesige Stiefel.“ Mit einem leichten Schmunzeln erinnert sich der Sohnemann auf ein Spiel vor Jahren auf Kreisebene, bei welchem sie damals sogar zusammen amtierten. „In Hohburg lagen einmal gefühlte 50 Zentimeter Schnee auf dem Platz, als die Begegnung gegen den TSV Burkartshain ausgetragen werden sollte. Mein Vater war als Schiedsrichter angesetzt, ich als Assistent. Es sollte gespielt werden. Allerdings war für meinen Vater zu viel Schnee auf dem Platz. Demzufolge legte er fest, dass ich pfeifen solle und er würde winken.“
Jedes Spiel seines Sohnes schaut sich Harald Sather im TV an. Im Anschluss daran gibt es von ihm ein kurzes Feedback. Insgesamt ist er stolz auf die Karriere seines Sohnes, „der sich seit Jahren für jedes einzelne Spiel äußerst gewissenhaft vorbereitet, nichts dem Zufall überlässt und äußerst professionell arbeitet. Das imponiert mir sehr.“ Sagte es und schon wieder klingelt das Handy…
Bericht: Tom Rietzschel / Foto: Andreas Döring